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TÖRN 138.17 – Position 30.12.2017

Törn 138.17 Madeira, Funchal – Las Palmas

Tagesbericht

Datum:
30.12.2017

Wie Wachen wachsen

 

Ein weiterer Tag liegt hinter uns. Fuhren wir am gestrigen Abend noch bei vier Windstärken und kräftiger See bei ordentlicher Lage mit bis zu sieben Knoten südwärts, so flaute der Wind im Laufe der Nacht ab, bis es am Morgen nach einer nächtlichen Halse mit nicht einmal zwei Knoten nach Nordwest ging, später noch nördlicher. Um Mitternacht gab es eine Halse, die gemeinsam von der 8-12 und der 0-4 durchgeführt wurde. Die nächste Halse legte die Schiffsführung auf 4 Uhr, als die 4-8-Wache gerade ihren Dienst antrat. Die 0-4-Wache war so nett und packte mit an, bis das Schiff auf neuem Kurs lag. Trimmen und „klar Deck“ war dann Sache der 4-8er.

Im Augenblick, 18 Uhr Ortszeit, dümpeln wir mit knapp einem Knoten bei Windstärke eins dahin. Am Nachmittag war noch einmal Generalalarm-Übung und im Anschluss daran eine Schulung für die Stammcrew zum Notfall-Manöver „Schiff verlassen“, wobei statt Rettungsinseln dicke Fender ausgesetzt wurden. Ansonsten aber wäre nur über Routinen zu berichten. Wobei da auch zu erwähnen wäre, dass wieder einmal Delfine unsere grüne Lady begleiteten, dass sich auf dem Achterdeck eine begeisterte Anglertruppe zusammenfand, die versuchte Fisch für das Abendessen zu fangen, dass viele Mitsegler die ruhige See nutzten, um einen Ausflug ins Rigg zu machen, dass sich die Steuerleute Malte und Frank einen Wettkampf liefern, wer die besten Wetterbeobachtungen abgibt.  Außerdem gab Toppsmatrose Winky einen grandiosen Vortrag über das Leben von Alexander von Humboldt zum Besten.

Versüßt wurde dieser Vortrag mit warmen frischgebackenen Kuchen aus der Kombüse. Die Leichti-Anwärter nutzten eine weitere Ausbildungseinheit, um ihren Wissensstand zu vertiefen.  Da will ich die Gelegenheit nutzen, das Wachsystem und wie sich Neulinge an Bord darin zurechtfinden vorzustellen.

 

Die Crew ist in drei „Wachen“ eingeteilt: 0-4, 4-8, 8-12. Das sind die Uhrzeiten, zu denen sie den Decksdienst versehen. Von 12 bis 24 Uhr wiederholt sich der Rhythmus. Jeder hat also zweimal täglich je 4 Stunden Wache. Das bedeutet Segel setzen und bergen, den Rudergänger stellen, den Ausguck besetzen, Tauwerk kontrollieren und gegebenenfalls in Ordnung bringen, Sicherheits-Check („Feuerrunde“ gehen), nachts die nächste Wache rechtzeitig wecken und etliche weitere Arbeiten, die jeweils einer Wache fest zugeordnet sind, z. B. das beliebte Deckschrubben.

Besonders für die Arbeit an den Segeln muss eine Wache bei Törnzeiten von oft nur 10 Tagen möglichst schnell zu einer Einheit zusammenwachsen. Ein guter Mix aus der Stammbesatzung, anderen Erfahrenen und Trainees, unter denen immer auch Segel-Neulinge sind, ist dabei eine wichtige Voraussetzung, damit diese Arbeiten reibungslos und effektiv klappen.

Ich war so ein unerfahrener Segelsehnsüchtiger, der sich fragte, ob er mit seinen 68 Jahren für ein solches Schiff als aktiver Mitsegler wohl geeignet sei. Weil ich das Segeln auf Jachten und kleineren Traditionsschiffen kenne, ahnte ich, dass die Alex anspruchsvoller sein würde. Wäre ich nicht Arzt, der auch mal als Bordarzt mitfahren könnte, hätte ich es wohl auch nicht mehr gewagt. Zum Glück habe ich zugegriffen.

Obwohl die Alex sich vor allem ja an die segelbegeisterte Jugend wendet, fühlte ich mich an Bord ohne Einschränkungen willkommen – und das liegt besonders auch an meiner Wache.

Womit wir wieder beim Thema sind. Meike ist mein „Toppsie“, kurz gesagt die Wach-Chefin, und damit mehr noch als unser nautisch verantwortlicher Steuermann Malte für unsere Ausbildung und das Funktionieren der Gruppe verantwortlich. Nicht so einfach, wenn der Altersunterschied in der Crew

50 Jahre beträgt und die Erfahrung von null Törns bis zu Routiniers reicht. Meikes Fähigkeiten habe ich schon im Bericht „Die Meerjungfrauen werden erwachsen“ beschrieben. Sie weiß, wer die Nagelbänke genau kennt, wen sie zusammen an einen Tampen stellen kann, wer aufentert, wer Stopper in Taue setzen und dabei Neulinge einweihen kann. Nicht so einfach bei unserer heterogenen Truppe. Da sind Arwed mit 17 und Johannes mit 18 Jahren und Peter und ich mit 68, vier taffe junge Frauen und der Rest gestandene Jungs.

Olaf, ein Zwei-Meter-Hüne und  André sind die Erfahrensten.
Unterschiedlich im Temperament sind beide stets bereit, auch die
einfachsten Fragen zu beantworten oder Routinearbeiten        zum
wiederholten Male zu erklären. Ist dazu in der Hektik einer Wende oder Halse keine Zeit, dann wird das eben später nachgeholt. Das Gleiche kann ich von Micha oder Martin sagen.  Letzterer ist Jahre zur See gefahren, hat eine Zeit auf der Gorch Fock hinter sich, weiß viel zu erzählen und fest zuzupacken. Wie auch Micha hat er ein gutes Auge und Gefühl dafür, wann wir Trainees Unterstützung oder Erklärungen brauchen.

Der 18-jährige Johannes ist schon zum vierten Mal auf der Alex, ganz schön fit und stellt oft die kniffligsten Fragen. Zum Beispiel, wenn er beobachtet hat, dass bestimmte Nägel (starke Zapfen, an denen Taue verankert werden) schon mal mit unterschiedlichen Tauen belegt gewesen seien. Dabei ist eine straffe Ordnung auf den Nagelbänken eigentlich ehernes Gesetz. Die Antwort in diesem Fall ist salomonisch: Manchmal muss man flexibel sein – wenn man es begründen kann.

Oli ist auch schon oft mitgefahren, weiß was zu tun ist und gibt sein Wissen gern weiter. Im Augenblick bedauern wir ihn, weil ihm der Klabautermann ins Kreuz gefahren ist (an Land sind dafür die Hexen

zuständig) und der Schmerz nicht weichen will. Steffi, Jenny und Lena sind schon mehrfach mit der Alex gefahren.  Wer den Meerjungfrauen-Bericht gelesen hat, kennt sie alle schon. Die Kompetenz und Fröhlichkeit der einen und die ruhige Sicherheit der anderen macht Trainees glücklich.

Damit sind wir bei uns beiden Oldies: Peter und ich. Zusammen mit dem 17- jährigen Arwed bekommen wir immer wieder Basisunterricht. Aber Peter hat Vorkenntnisse. Er ist schon oft als Koch mitgefahren und wollte nun einmal das Leben an Deck kennenlernen. Arwed ist wie ich zwar das erste Mal an Bord, aber ein erfahrener Segler.

Bleibt als echtes Greenhorn nur ich. Und aus dieser Position heraus habe ich heute mal zusammengefasst, wie eine Wache auf der Alex aussehen kann.

So sehr unterschiedlich werden sie auf anderen Törns nicht sein. Und keine Sorge, dass unerfüllbare Anforderungen gestellt werden. Keiner muss ins Rigg. Ich konnte es mir in aller Ruhe überlegen, ob ich es meinen alten Knochen noch antun wollte. Heute habe ich ja gesagt und stand am Nachmittag oben im Mast auf der ersten Saling. Grandios! Also

Unentschlossene: Nur Mut, wenn ihr vor der Entscheidung steht mitzufahren.

Ich kann nur dazu raten.

Mit herzlichen Grüßen am vorletzten Tag des Jahres 2017 von der Crew der Alex, aufgeschrieben von Wolbert.