Donnerstag, 9. August 2018
„Guten Morgen, Weckdienst. Es ist 7.00 Uhr, in einer Stunde hast Du Wache. Wir fahren unter Maschine; draußen regnet es und es ist 17°C warm“. Also duschen, anziehen, frühstücken, noch einen heißen Tee und dann Ölzeug, Gummistiefel und – unabhängig vom Wetter – das Sicherungsgeschirr angelegt. Das dauert länger als es sich liest, und irgendwie komme ich mir mit all den Klamotten vor wie ein Tele-Tubby. Die Alternative – vier Stunden nass im Wind stehen und arbeiten – ist aber auch nicht verlockend.
An Deck erwartet uns die 4-8-Wache, die einigermaßen nass und verfroren aussieht. Das tut ihrer guten Laune aber keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Statt des üblichen „Eins, zwei: Gute Wacht!“ erwarten sie uns mit einem Lied: „Es regnet, es regnet, die Alex wird nass. Wir geh’n in die Messe, was kümmert uns das.“ – Unsere Antwort „Und wir dazu: Gute Ruh!“ passt nicht so ganz dazu… Immerhin klappt es besser als gestern Morgen, da haben wir nämlich allesamt unseren Einsatz verpasst, was Katrin an Meuterei und an einen Besuch bei der Toppsmatrosen-Seelsorge denken ließ.
Unter wenig Segelfläche fahren wir südlich an der Isle of Wight vorbei. Für eine Durchfahrt durch den Solent, den Meeresarm zwischen der englischen Küste und der Nordküste der Isle of Wight hätten wir einen Lotsen gebraucht, weil wir einige Meter zu lang sind. Daher der südliche Kurs. Die Isle of Wight hüllt sich, typisch britisch, in Nebel und Nieselregen.
Heute ist erstmals ein intensiver Geruch nach Seekrankheit an Deck zu schnuppern. Der Inhalt der weißen Eimer, der nach Linsensuppe aussieht und nach Seekrankheit riecht (genauere Beschreibungen erspare ich mir) kommt jedoch zum Glück nicht von uns, sondern vom Fettabscheider. Wir halten uns sicherheitshalber die Nasen zu, damit unser Frühstück nicht dem Weg des Eimer-Inhalts an Lee über Bord folgt.
Wir haben heute Morgen zwei oder drei blinde Passagiere an Bord: Spatzen, die sich offensichtlich vom Festland ins Rigg verirrt haben und nun dort herumsitzen, immer mal ein paar Meter auf’s Meer hinaus flattern und dann wieder zurückkommen.
So vergeht der Vormittag. Der frühe Nachmittag findet mich in der Koje, denn Seeluft macht nicht nur hungrig, sondern auch müde. So bekomme ich nicht mit, dass es aufklart und dass wir irgendwann „nach backbord abbiegen“ und wieder Kurs auf die nordfranzösische Küste nehmen. Beim Abendessen wird dann mündlich und per Lautsprecher durchgegeben, dass wir um 18.15 Uhr alle an Deck zu erscheinen haben für das nächste All-hands-Manöver, eine Halse. Die Küste der Normandie mit Cherbourg wandert langsam von „recht voraus“ über Steuerbord nach achtern, und wir nehmen wieder Kurs auf die südenglische Küste. Kapitän Thomas Jung würdigt das gelungene Wendemanöver mit einem „Besanschot an“ mit einer Ansprache und einer Flasche Sherry, die unter allen herumgereicht wird, nachdem Rasmus, der Herr der Stürme, als erster sein Quantum erhalten hat.
Nach Sonnenuntergang fangen wir im Scheinwerferlicht an, die Segel zu bergen und umzubrassen. Damit sind wir erstmal gut beschäftigt, und ich möchte mir ein solches Manöver gar nicht bei Sturm, Regen und Dunkelheit vorstellen. Gegen 22.30 Uhr sind wir fertig – mit dem Segelbergen und Brassen, aber auch körperlich ganz gut k.o. Die restliche Zeit der Wache verbringen wir auf dem Achterdeck, schauen in den klaren Sternenhimmel, bestaunen die Milchstraße und freuen uns über die eine oder andere Sternschnuppe.

