Datum: 27.08.2018
Mittagsposition: 62° 19,4 N 3° 15,1 E
Das Wetter: Regen, Regen und nochmals Regen
Titel/Überschrift: Wortgeschichten
Moin in die Heimat!
Heute war die Schlappskiste geöffnet, was uns die Möglichkeit zum ergiebigen Eindecken mit Alex-II-Fanartikeln bot. Dabei ist uns mal wieder aufgefallen, dass sich einige Begriffe der „Bord-Sprache“ nicht allein durch unser Alltagswissen erklären lassen, so auch das oben genannte Wort:
Schlappskiste.
Leichti Martin erklärte uns hierzu, dass es mehrere Ursprungstheorien gäbe. Eine recht gängige ist die folgende, an der ihr auch gleich eine weitere bordtypische Vokabel kennenlernt, die da heißt „shang-haien“.
Vor einiger Zeit, etwa vom 19. Jahrhundert, war die Schifffahrt noch lange nicht so komfortabel wie heute. Sie war vor allem kein Freizeitvergnügen, sondern schlichtweg notwendig, um Waren in ferne Länder transportieren zu können. Insbesondere die Helfer-Jobs auf Schiffen waren nicht gerade be- gehrt, denn man war lange Zeit vom eigenen Zuhause weg (oft mehrere Jahre) und gegen die damali-gen Arbeitsumstände wäre in der heutigen Zeit jede Gewerkschaft sturmgelaufen. Die Schiffseigner mussten sich also etwas überlegen, wie sie ihre Mannschaft zusammenstellen konnten. Sie gingen in die Pubs und warfen bei den anwesenden Gästen, die sie für geeignet hielten, einen Penny ins Trinkge-fäß. Leerte der Ausgewählte sein Getränk, „küsste“ er nebenbei das auf dem Geldstück abgebildete Konterfei der Queen und heuerte damit automatisch auf dem Schiff an. Er wurde „shanghait“, wobei die Stadt Shanghai als Sinnbild für die weiteste Reise steht, die man sich vorstellen konnte. Die armen Trinker hatten allerdings nur ihre Kleidung dabei, die sie am Leibe trugen – wahrlich zu wenig für eine jahrelange Reise auf den Weltmeeren. Deshalb konnten sie sich von ihrem kleinen Lohn an Bord geeig-nete Klamotten kaufen, und zwar aus einem Fundus von übriggebliebener Kleidung anderer Schiffsleu-te. Diese „schlappigen“ Klamotten wurden in einer Kiste aufgehoben – der Schlappskiste.
Anhand dieser ausführlichen Geschichte könnt ihr schon erahnen, dass es heute in Sachen Segeln nicht viel zu holen gab und das im wahrsten Sinne des Wortes. Als ich heute aufwachte, konnte ich bereits das leise Brummen der Maschine hören. In unserer letzten Nachtwache waren wir schon darauf vorbe-reitet worden, dass der Wind in den nächsten Stunden nicht gerade unserer Freund sein sollte und so kam es heute auch. Zunächst sind wir noch mit einigen Stagsegeln als Unterstützung für den Unterwas-serbesan gefahren, irgendwann hat jedoch auch das nichts mehr gebracht, sodass wir derzeit aus-schließlich motoren. Noch dazu regnet es bereits den ganzen Tag, was die Maschinenwache, in der eh schon nicht viel zu tun ist, noch ein Stückchen länger erscheinen lässt. Heute Nachmittag keimte dann doch wieder ein bisschen Hoffnung auf, denn möglicherweise können wir wenigstens die letzten Stun-den, bevor wir vor Anker gehen, noch ein bisschen Segeln. Das wird sich aber frühestens in der Nacht zeigen.
Wer sich übrigens für weitere Begriffsgeschichten aus der Seefahrt interessiert, dem sei Herman Melvil-les „Weißhemd“ ans Herz gelegt. Ihr kennt den Schreiber sicherlich als Autor des vielfach verfilmten Romans „Moby Dick“. Schaut euch auch einmal seine anderen Werke an. Vielen Dank für den Tipp, Mar-tin!
Viele Grüße von der Nordsee
Die Crew der Alex II

