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TÖRN 138.17 – Position 29.12.2017

Törn 138.17 Madeira, Funchal – Las Palmas

Tagesbericht

Datum:
29.12.2017

Die Seejungfrauen werden erwachsen

Eine ruhige Nacht am Anker vor Fuerteventura liegt hinter uns. Alle Segel
waren geborgen, jetzt soll es weitergehen. Acht Uhr, „all hands on deck“
heißt es. Alle drei Wachen beteiligen sich, um die Segel flott zu setzen.
Energische Anweisungen schallen übers Deck der Dreimastbark mit den grünen
Segeln: „Klar  bei Geitauen und Gordingen…, An die Schoten…!“ Die Befehle
kommen keineswegs mit medienwirksam rauer Seebärenstimme. Zwei junge
Frauen stehen oben an den Aufgängen zum Oberdeck und geben laut und
deutlich die Befehle an die Crew. Völlig selbstverständlich und
diszipliniert folgen zwei Dutzend Leute den Kommandos. Auch unter ihnen
etwa ein Viertel Frauen.

Auf unserem Törn ist mit dem Zwillingspaar Meike und Katrin sogar die
Mehrheit der „Toppsis“ – das sind die Leiter der Wachen – weiblich, wie
insgesamt ein knappes Drittel der Crew. Der Gender-Wahn in der
augenblicklichen gesellschaftlichen Debatte lässt den Berichterstatter –
männlich, Jahrgang 1949 – beklommen argwöhnen, ob es nicht schon politisch
unkorrekt ist, das überhaupt zu thematisieren.

Nein, ich glaube, das Leben auf der Alex ist ein wunderbares Beispiel für
unaufgeregte, gelungene Gleichberechtigung – und das in einem Metier, das
weithin immer noch als Männerdomäne gilt. Sicher, junge Frauen umsegeln
mit 16 Jahren die Erde, wie man hört, lassen im Popgeschäft Mädels wie
Taylor Swift ihr Management nach ihrer Pfeife tanzen und in Berlin regiert
eine Kanzlerin.

Und auch das sei nicht unerwähnt: Auch hier habe ich schon vom
„Damensegel“ reden gehört. Gemeint ist das kleinste, oberste Rahsegel an
Großtopp und Vortopp, das starke Jungs meinen, mit dem kleinen Finger
brassen zu können (können sie natürlich nicht!). Wir wollen nicht so tun,
als sei die Alex-Welt schon perfekt. Nein, nein – so sehr die
Unausweichlichkeit der Gleichberechtigung immer wieder betont wird,
erreicht ist sie nicht. Auf der Alex aber ist sie auf dem besten denkbaren
Weg, und zwar sowohl im gewachsenen Betrieb als auch beim Nachwuchs.

Auf unserem Törn sehe ich die fröhliche 14 Jahre junge Frieda und ihre
etwas ältere Schwester Luise mutig ins Rigg steigen und sich beim Brassen
oder Hissen in die Taue stemmen. Beide hatte an den Wanten anfangs
gezögert, – klugerweise. Die hohen, schwankenden Masten verlangen eine
ehrliche, uneitle Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, körperlich und
mental. Vielleicht ist es ja sogar ein Vorteil, ohne Testosteron-Antrieb
an diese Herausforderung zu gehen. Nicht nur bei Frieda spürt man die
Lust, sich neuen, ungewöhnlichen Aufgaben zu stellen, und man sieht: Sie
kann es.

Staunend höre ich auch Steffi (27) zu, die man sich gut in ihrem Beruf als
Kulturwissenschaftlerin im IT-Bereich vorstellen kann, die die Alex aber
auch schon gut kennt und sich gerade um einen Job bemüht, im hohen Norden
Skandinaviens Trekkingtouren zu führen. Sie muss dazu noch ein
Schießtraining absolvieren – wegen der Bären… Eine andere 31-jährige
Segelkameradin, im Urlaub von ihrem Job als Wirtschaftsjuristin und hier
oft hoch oben im Rigg zu sehen, träumt gerade von einer Motorradtour
entlang der schwedischen Küste.

Jackie klettert für mich mal eben mit meiner Videokamera an die Spitze des
Bugspriets (Ich, Neuling auf der Alex, wage es noch nicht), weil ich gern
eine Aufnahme der schäumenden Bugwelle hätte. Als ich später auch noch um
eine Aufnahme des fallenden Ankers aus gleicher Position bitte, winkt sie
ab: „Zu gefährlich. Der Anker wirbelt mir seinen Dreck ins Gesicht.“ Das
würde Gefahren heraufbeschwören. Wer sie arbeiten sieht, glaubt ihr, dass
sie dabei nicht an ihren hübschen Teint denkt. Sie kennt sich nach
zahlreichen Fahrten einfach aus. Maschinistin Katrin kennen unsere Leser
schon. Keine wäre geeigneter, so souverän mit ihrem manchmal bärbeißigen
Chef (Tango-Jan, der Chief, zu Hause auf allen Weltmeeren), umzugehen. Das
geht nur, wenn Frau selbst weiß, was eine Harke ist.

Meike ist Toppsi meiner Wache, der 4-8. Kaum ein Mann könnte eine
Mannschaft kompetenter führen und Anfänger besser anleiten – und noch
weniger mit dieser ansteckenden Fröhlichkeit. Wage ich mich jetzt schon
wieder aufs Glatteis: Frauen sind für die Gefühligkeit zuständig? Nein!
Anders Beispiel: Lena,  quicklebendige deutsch-französische Algerierin
(oder umgekehrt) bringt mich mit ihrem überbordenden Wissen über die
Takelage bei der nächtlichen „Tampenjagd“ (Kontrolle des Tauwerks) an
meine geistige Aufnahmegrenze – aber das auf eine so liebevolle, charmante
Art, dass gar kein Missmut aufkommen kann. Da sind offenbar die weiblichen
„Softskills“ aktiv. Die Alex gibt ihnen Raum, und das beeindruckt mich
gewaltig.

Auch Kapitäninnen führen das Schiff hin und wieder. Ebenso tun
Steuerfrauen Dienst, wenn auch nicht auf unserer Tour. Aber die
medizinische Betreuung liegt diesmal in weiblicher Hand. Doc Sigrun ist
allerdings immer noch „der Doc“. Klar, ihrer Kompetenz tut das keinen
Abbruch. Aber wurmt euch das nicht, Mädels? Lasst euch was einfallen! Für
mich ist sie erst mal die Doktorin.

Gesegelt sind wir natürlich auch. Ein kräftiger Nordost trieb uns gestern
unter Vollzeug mit bis zu 9 Knoten nach Süden. Die Alex präsentierte sich
in voller Schönheit. 24 geblähte grüne Segel! Am späten Nachmittag wurden
wir für die anstrengende Tour mit einer ruhigen Nacht vor Anker belohnt.
Der 20 Grad warme Atlantik bot Wasserratten Gelegenheit für ein Bad.

Seit heute Morgen sind wir wieder mit schönem Segelwind unterwegs. Beim
Segelsetzen packten alle drei ausgeschlafenen Wachen mit an und innerhalb
einer Dreiviertelstunde rackerte sich die Alex wieder durch eine anfangs
etwas kabbelige See. Am Vormittag fuhren wir die erste Wende dieses Törns
und zwar erstmals unter dem Kommando von Steuermann Frank Seidel. Kapitän
Rainer stand selbst am Ruder und Toppsi „Winkie“, bürgerlich Thomas,
übertraf sich selbst mit launigen Anfeuerungsrufen. Aber die Alex schob
ihren Bug brav durch den Wind und ging von Nord- auf Westkurs. Und jetzt
muss ich Schluss machen, denn gleich ist „Besanschot an“ angesagt –
feierlicher Abschluss einer gelungenen Wende. (Für Landratten: Mit dem
Rahsegler eine Wende – der Bug geht durch den Wind – zu fahren, ist
bedeutend schwieriger als eine Halse, bei der das Heck sich durch den Wind
schiebt.) Steuermann Frank wird dabei Rasmus, „altes Rübenschwein“, den
Herrscher über alle Winde anrufen, um stete Gewogenheit bitten und ihn mit
einem guten Schluck Madeira besänftigen. Davon bekommt dann auch die Crew
einen kleinen Anteil – ein beliebtes Manöver!

Herzlichste Grüße aus dem südlichen Atlantik von Berichterstatter Wolbert
und der ganzen Crew!